Nachlese Trialog: Der neue ICD 11 / Wie aussagekräftig sind psychiatrische Diagnosen?

Der ICD – Internationale Klassifizierung von Diagnosen – ist eine von der WHO (Weltgesundheitsorganisation) herausgegebene Zusammenfassung aller bekannten Erkrankungen und den entsprechenden Diagnosen.

Ursprünglich sollten durch international gültige Diagnosekriterien regionale und kulturelle Häufungen von Erkrankungen erkennbar werden. Inzwischen spielt der ICD für die Abrechnung anfallender Kosten der Sozialversicherungsträger eine wichtige Rolle.

Eine Diagnose besteht aus einem Buchstaben sowie einer zweistelligen Zahl. Psychiatrische Diagnosen haben den Buchstaben F am Beginn. Derzeit gilt noch der ICD 10. Die Version 11 wurde von der WHO in der Rohfassung bereits herausgegeben, doch es gibt nach wie vor rege Diskussionen zur endgültigen Version. Zum Beispiel, welche Diagnosen herausgenommen und welche neu aufgenommen werden sollen.

Betroffene fordern, den Begriff Schizophrenie, der als stigmatisierend wahrgenommen wird, nicht mehr zu verwenden. Generell sollte anstelle von Erkrankungen vorzugsweise von Syndromen gesprochen werden. Persönlichkeitsstörungen sollten vermehrt berücksichtigt und besser differenziert werden. Bis zur Anwendung des ICD 11 könnte es allerdings noch einige Jahre dauern.

Eine Frage an diesem Trialog war, ob eine Diagnose endgültig ist und auch der Verlauf einer Erkrankung damit vorhergesagt werden könne?

Die Diagnose stellt den aktuellen Querschnitt dar, somit kann eine Person in ihrem Leben verschiedene Diagnosen erhalten. Zu einem späteren Zeitpunkt kann daher von einer „Fehldiagnose“ kaum ausgegangen werden. Ärztinnen und Ärzte sind gefordert, in einer relativ kurzen Zeit, möglichst ohne subjektive Meinung, ein Urteil zu stellen.

Für viele sozialrechtliche Entscheidungen spielt ein Gutachten und die darin angegebene Diagnose eine wesentliche Rolle. Dabei geht es um Zuerkennung einer Berufsunfähigkeitspension, Rehageld, Feststellung des Grades einer Einschränkung oder Anspruch auf Pflegegeld. Entgegen dem allgemeinen Glauben wird von einer möglichen Verbesserung des Gesundheitszustandes ausgegangen. Die notwendigen Umstände lassen sich aber oft kaum beeinflussen, manchmal spielen zufällige Veränderungen oder Ereignisse eine wichtige Rolle.

Es wurde auch das Phänomen angesprochen, dass Begriffe wie schizophren, depressiv oder paranoid im alltäglichen Sprachgebrauch unbedarft Verwendung finden. Speziell die Formulierung, „Du Opfer“, welche Betroffene oftmals hören, wird als abwertend empfunden, da dies impliziert, schwach oder feige zu sein.

Manche Dinge werden im Allgemeinen mittlerweile offener angesprochen, viele Begriffe können jedoch mit unzutreffenden Vorstellungen verbunden werden. Eine Mitarbeiterin, die in einer Einrichtung für Jugendliche tätig ist, erwähnte, dass viele Betroffene mehrere Diagnosen hätten und dies die Arbeitsplatzsuche oder Ausbildung zusätzlich erschwere.

In den Medien wird häufig ein Diagnose-Begriff im Zusammenhang mit einer aktuell negativen Nachricht erwähnt. Hierbei können angstmachende Vorstellungen oft bestärkt werden, ohne auf den tatsächlichen Zusammenhang einzugehen. Ein Teilnehmer führte einen Vergleich an, der das Problem mit Diagnosen gut sichtbar machen kann. „Es ist wie beim Marmelade einkochen. Solange die Früchte sortenrein verarbeitet werden, lassen sich die Marmeladegläser relativ einfach beschriften. Wenn die Früchte jedoch vermischt werden, wird auch die Beschriftung kompliziert und sagt wenig über den Geschmack des Inhaltes aus.“